Alleinreisender im Van und vielbeschäftigter Coach
Ingo ist schon immer gerne alleine unterwegs. Der erste Alleinurlaub war mit dem Radl nach Griechenland, dann immer wieder nach Asien bald Jordanien…, oder auch mit einem ganz alten Méhari-Jeep Richtung Süden, der schon kurz nach der Abfahrt das erste Mal in die Werkstatt musste. Immer wieder alleine zu sein ist für ihn ein wichtiges “social detox”-Programm.
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Seit wann bist Du eigentlich allein unterwegs, Ingo?
Mit Ende Zwanzig wollten wir zu fünft mit dem Fahrrad nach Griechenland fahren, dann sprangen alle nacheinander ab, dass ich am Ende alleine losgefahren bin. Schon bei dieser ersten Solo-Tour habe ich gemerkt, das ist das geilste, was es gibt. Einfach nur dieses Basale: Aufstehen, radeln, essen. All-eins sein.
Es hat eine unglaubliche Intensität, wenn man immer nur für sich entscheidet – ess ich, ess ich nicht, bleib ich stehen, fahr ich weiter…
Verrückt, dass man erst dann merkt, wie viele Entscheidungen man im Leben nicht wirklich selbst trifft, sondern einfach geschehen lässt. Und wenn man dann mal alleine ist, merkt man wie anstrengend entscheiden ist.
Es gibt halt keinen sozialen Bezugsrahmen, man kann noch nicht mal dagegen sein… andererseits hast Du dann niemanden, der Dir vorwirft, das war aber falsch.
Ich bin überzeugt, dass man nie eine falsche Entscheidung trifft, denn man macht ja immer das, was man in diesem Moment für richtig hält.
Ja, Fehler gib es nur rückblickend. Keiner trifft wissentlich eine falsche Entscheidung. Ich habe für mich das Konzept: Nichts ist schlimm! Es gibt da ein griechisches Sprichwort: „Nicht die Tatsachen sind das Problem, sondern die Bedeutung, die wir den Tatsachen geben.“ Ich bin derjenige, der den Dingen, den Umständen die Bedeutung gibt. Ich kann entscheiden, wie ich die Umstände empfinde. Ist der Regen nervig, lass ich mich stressen – oder ist er einfach da und ich lebe damit.
Aber das hat was mit Erfahrung zu tun, oder?
Ja, auf jeden Fall. Bei meiner Tour damals mit dem Jeep war ich tagelang in Griechenland in einem Ort „gefangen“, weil ich auf ein Ersatzteil warten musste. Gleichzeitig tobten nicht weit von mir beängstigende Waldbrände. In diesem Moment konnte ich mir gar nichts schön reden. Als ich aber Jahre später in Schottland wochenlang alleine durch unaufhörlichen Regen gefahren bin und von der spektakulären Landschaft wirklich fast nichts sehen konnte, da war ich zwar auch genervt… konnte aber irgendwann aufhören, gegen den Regen anzukämpfen. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf schlechte Laune und habe bewusst entschieden, diesen Umstand des Shitwetters anzunehmen. Ich machte mir bewusst, dass es mir nicht um die tolle Landschaft geht, sondern um mich und die Reise zu mir selber. Der Moment wird zum guten Moment, wenn ich mich nicht vom Nervigen bestimmen lasse.
Ich glaube ja daran, dass alles, was passiert, richtig ist.
Ich würde es noch eine Stufe niedriger ansetzen. Es ist, wie es ist. Es ist weder richtig noch falsch – und es steht mir nicht zu, zu beurteilen. Aber ob es für mich gut sein soll, kann ich selbst entscheiden. Ich kann sieben Wochen schottischen Regen als das größte Unglück betrachten, weil es anders gekommen ist, als ich es mir gewünscht habe – oder ich versuche, es gut zu machen. Ich darf mir erlauben, dass ich es kacke finde, aber dann geht es um die Alternative.
Kannst Du diese Regenreise also als gelungen bezeichnen?
Ich hatte in dieser trüben Stimmung viele intensive Momente, vielleicht mehr, als wenn ich, wie geplant, bei schönem Wetter vor allem beim Fischen gewesen wäre. Vielleicht hat es so sein müssen.
Du hast diese Reise dazu genutzt, in Deine Ruhe, Deine innere Wirklichkeit zu gehen, hast Gefühle zugelassen, gekämpft…
Dieser Roadtrip war ein Reload, da habe ich wirklich viel loslassen können. Jedes Alleinsein lädt mir meinen Speicher auf und trägt mich immer wieder durch meinen wirklich anstrengenden Alltag. Trotz toller Beziehung brauche ich immer wieder Zeit des Alleinseins, in der ich „sozial entgifte“. Es geht mir darum, meinen eigenen Rhythmus zu finden – einfach selbstbestimmte Zeit.
Für Schotttland hattest Du ja den Plan, wochenlang abseits zu sein: Hattest Du vorab das Gefühl, dass es eine mutige Entscheidung ist?
Ja. Mutig gegenüber meiner Angst. Ich hatte tatsächlich Angst, was passiert, wenn ich keinerlei soziale Abwechslung habe. Wenn ich mir selber begegne. Aber schon nach ein paar Kilometern ist mein Mutgefühl in völlige Freude umgeschlagen.
Gab es schon mal klassische Mutproben, denen Du Dich gestellt hast?
Allein im Wald. Das war wirklich krass. Und dann wollte ich mal in Südtirol auf dem Berg unter freiem Himmel übernachten und dachte, ich wäre mutiger – aber ich habe es nicht geschafft.
Wovor hattest Du Angst?
Es waren nur meine Phantasien. Aber die waren halt zu stark in dem Moment. Ich bin dann abgestiegen und habe in der Nähe einer Hütte draußen übernachtet. Auch in Schottland habe ich mich erst langsam in die abgelegenen Gegenden getraut, musste mich daran gewöhnen.
Als Du zur Hütte abgestiegen bist, wie war das für Dich? Gekränkte Eitelkeit, Ärger über fehlenden Mut?
Naja, richtig super fand ich es nicht. Aber für mich stellt sich immer die Frage: Was will ich mir beweisen? Und manchmal – wie in Südtirol – will ich mir einfach nichts beweisen, da darf ich mir gestatten, den Ängsten nachzugeben. Aber was ich nicht will: Mir von Angst meine Freiheit nehmen zu lassen. Ich kann mir sagen, dass es gerade OK ist, ängstlich zu sein. Beispielsweise mit dem Bus an einem äußerst abgelegenen Ort zu stehen. Aber dann entscheide ich, dass die Angst nicht die Führung übernehmen darf und bleibe trotz meiner Phantasien hier stehen. Dieses Erlebnis lasse ich mir von meiner Angst nicht nehmen.
Ist das mutig – oder einfach stur?
Mutig ist, die Angst zu bezwingen für mehr Leben.
Stur ist, wenn man sich nicht traut, berechtigten Ängsten nachzugeben, weil man das als Schwäche einstuft und lieber in der sogenannten “Panikzone” bleibt.
Was ist denn die Panikzone?
Uns umgeben drei Lernzonen:
Die Komfortzone ist für jeden eine andere, ist selbst definiert. Hier weißt Du, was ungefähr passieren wird, in dieser Zone kennst Du Dich aus, fühlst Du Dich wohl. Es herrscht angenehmer Stillstand.
In der Wachstumszone kommst Du mit Deinen Fähigkeiten in einer veränderten Umwelt gut zurecht. Du bist mit Deiner Erfahrung in der Lage, hier zu überleben und lernst stetig dazu, weil Neues passiert. Hier geht es um Deine Entwicklung.
In der Panikzone ist Deine Angst so groß, dass der Körper Adrenalin ausschüttet: er will kämpfen, flüchten, totstellen. Das Gehirn ist ausgeschaltet, Du bist nicht mehr kompetent. Hier lernst Du nichts, es geht nur um das Schaffen von Sicherheit.
Jeder darf selbst entscheiden, wo es ihm am besten geht. Es ist reine Typsache. Es gibt keine klare Definition von mutig. Manche brauchen die Grenzerfahrung, manche aber eben nicht. Auch Routine ist gut, beispielsweise wenn ich ohne Energieaufwand in einem gemütlichen Job Geld verdiene, um mehr Kraft zu haben.
Also ist es nicht unbedingt notwendig, die Komfortzone zu verlassen? Obwohl man sich darin nicht entwickelt…
Wenn man sich da sauwohl fühlt… Warum? Entwicklung kann ja nicht Selbstzweck sein. Übrigens geht man in die Wachstumszone, um die Komfortzone zu erweitern. Man stellt bzw. entwickelt sich und erweitert sie damit. Und dann ist das für Dich normal, ist Teil Deiner Komfortzone, was Du vorher mutig fandst.
Kann man also sagen, Mut hat in erster Linie etwas mit Wachstum zu tun?
Mut kommt von mutigem Handeln. Nur wenn ich mich immer wieder traue, über die Grenze meiner Komfortzone zu gehen, komme ich in Bewegung. Es ist einfach mutig, Deinen Handlungsspielraum zu erweitern und möglicherweise Niederlagen einstecken zu müssen. Unter Therapeuten gibt es auch diesen sehr wichtigen Satz: „Der Sinn von Zielen ist nicht, sie zu erreichen, sondern in Bewegung zu kommen.“ Es ist nicht das Ziel, was Du erreichen musst. Es reicht, Dich wertzuschätzen, wenn Du losgegangen bist.
Und wenn Du wirklich neue, eigene Erfahrungen machen willst, macht es eben Sinn, genau diese Schritte im Alleinsein zu erleben. Keine Kompromisse zu machen. Nicht von außen bestätigt zu werden, sondern sich selbst, von innen zu bestätigen. Selbstbestätigt zu sein heißt, mit einer intrinsischen Motivation zu starten, mit der es mir nicht um das Außen geht, sondern eben nur um mein Wachstum. Und das ist mutig.
Lieber Ingo, hast Du eigentlich einen Sinn des Lebens, der Dich begleitet?
Ich würde sagen, mich immer wieder zu fragen: “Nutze ich das Angebot des Lebens, herauszufinden, wer ich selber bin?”