6 Wochen, 8 Länder, 6.000 km, 1x Fähre… immer die “Baltic Sea” im Blick
Life begins
where your comfort zone ends.“
Deutschland -> Hamburg -> Ostseeküste -> Polen -> Danzig -> Russland -> Kaliningrad -> Litauen -> Kurische Nehrung -> Lettland -> Riga -> Estland -> Insel Kihnu -> Tallin -> Russland -> St. Petersburg -> Finnland -> Helsinki -> Fähre nach Travemünde/ Deutschland
Die Ostsee-Küste: Traumziel! Ewige Sandstrände (in der Nachsaison auch genussvoll leer), wunderschöne Wälder, freundliche Menschen, spannende Städte, lustige Begegnungen, absolute Geborgenheit, Stille und sanfte Natur… Einfach umwerfend!
Meine Playlist für Dich
Mehr Infos zum Roadtrip
Tag 1: München -> Kirchscheidungen an der Unstrut
Song des Tages
„Für eine Handvoll Gras“ Fuzzman & The singin‘ rebels
„Geh doch nach Westen
sagt zu mir mein Hut:
dort ist das Wetter immer schön und gut.
Wir fahrn nach Osten,
suchen uns nen Fahrer, komm
und Richtung Berge ziehen wir davon.
Lass uns nach Süden gehn,
ich will im Meer drin stehen
und Mandarinen pflücken,
schöne Mädchen sehn.
Und dann im Norden oben,
da wo die Stürme toben,
da will ich mich verlieben,
da will ich mich verloben! …“
Campingplatz des Tages
Franzjosef darf raus von zuhaus! Und ich mit ihm.
Mit großem Aufwand habe ich mich losgeeist von München und für ganze 6 Wochen abgemeldet. Die Wohnung ist blitzeblank geputzt und für die Gäste bereit, die Arbeit für unterwegs ist gut vorbereitet und eingepackt, Franzjosef für die anstehende große Runde nochmal werkstattgecheckt worden (und hat dabei neue Bremsen bekommen), die Deko hängt, Kühlschrank und Essenskisten sind randvoll und ich bin (nach sehr großem Abschieds-Blues) bereit für das Neue!
Losfahren, auch wenn mich eigentlich die Gemütlichkeit zu Hause hält, das Leben sehr entspannt und gerade so bequem eingerichtet ist… Aber ich muss was sehen von der Welt, mich zieht es raus aus der Komfortzone des Alltags. Also los.
Der Plan ist: Straight rauf in den Norden, in Hamburg rechts abbiegen Richtung Osten und immer an der Meereslinie entlang, einfach der Ostseeeküste folgen. Keine Ahnung wie weit ich komme, bleibe wie immer entspannt nach meinem Lieblingsmotto: „Schaung ma mal, dann seng ma scho!“
Schon in München auf der Autobahnauffahrt die erste Herz-Begegnung: ich picke Tramper Momo auf, mit dem ich mich schon beim ersten Satz verbunden fühle: „Wohin?“ „Ach, dahin!“. Trotz seiner jungen Jahre reist er so bewußt durch die Welt und vor allem durch sein Leben und ich freue mich sehr über seine Leidenschaft, mit der er seine Zukunft angeht. Fröhlich stellen wir fest, dass Kommunikation (vor allem auch mit sich selbst) unseren Lebenssinn ausmacht und beim Anblick des Regenbogens sind wir uns einig, dass wir uns nicht auf die Suche nach dem verborgenen Schatz am Ende des Bogens machen müssen, weil wir beide genügend Schätze in unserem Leben besitzen. Danke Momo für eine tolle Fahrzeit!
Den ersten Stop in Sachsen-Anhalt, der Mitte Deutschlands. Heute plane ich mal ausnahmsweise und nehme dazu mein Vorläufer-/ Vorbild-Buch „Cool Camping Deutschland“ zu Hand. Hauptkriterium ist wie immer die Lage am Wasser, perfekt wird der Platz mit dem Angebot, von hier aus paddeln zu können. Also steuere ich zielgenau dort hin, lass mich kurz im netten Naumburg durch die kleine Stadt treiben und von der Ausstellung im Dom begeistern und parke total erfreut direkt an der Flusskante.
Zur Feierabend-Belohnung gibts zum herrlichen Auf- und Abbranden des Blätter-Rauschens das Blitzen der letzten Sonnenstrahlen durch die Pappeln und den (für mich obligatorischen) Blick aufs Wasser. Dazu ein eiskaltes Bierchen, das mich nicht nur – natürlich – vom Namen extrem begeistert, sondern auch vom wirklich umwerfenden Geschmack: perfekt gemacht, Ihr Münchner „Hopfmeister“! Und weil Out-Tour eben ein wirklich cooler Platz ist, der seine Weihe durch die „Cool Camping“-Buchreihe wirklich verdient hat, darf ich mir zur Steigerung des Wohlgefühls auch noch ein Feuerchen machen: Aaaaah… perfekt!
Tag 2 & 3: Kirchscheidungen -> Hamburg
Song des Tages
“Freedom” Anthony Hamilton & Elayna Boynton
Campingplatz bei Hamburg
Der Platz hier an der Unstrut ist wirklich sehr sympathisch und entspannt… Die Zwetschgen fallen mit unaufdringlichem Bopp vom Baum, die Pappeln murmeln unglaublich beruhigend und der Fluss schneckt sich ganz gemütlich vor mir her… Ich nutze diese Ruhe, um mich mal wieder arbeitstechnisch auf Vordermann zu bringen. Und als mein gutes Gewissen wieder hergestellt ist, ist es zu spät, um weiter zu fahren. Also darf ich „Freizeit“ machen und paddle drei Stunden (gefühlt bergauf) durch den menschenleeren Dschungel. Sehr still, sehr fein.
Weiter gehts, nordwärts: Hamburg ist angepeilt.
Ich fahre lange über Land und genieße! Dieses Ocker-Beige-Oliv-Staubige. Prärie. Es fühlt sich an, wie sehr weit weg – dabei sind es nur 500 km von daheim. Ein später, ruhiger und zufriedener Sommertag: abgeerntet, aufgeräumt, friedvoll.
Recht spät abends komme ich dann auf dem Hamburger „Elbecamp“ an, das mir Freundin Niki empfohlen hat (Danke für den super Tipp!) Ich komme genau richtig, um mir mein Feierabend-Bierchen am Elbstrand zu gönnen und sitze ewig im Sand. Riesige Schiffe laufen dieselnd vorbei, irgendwer spielt Bongo, Kinder unterhalten sich über die leckersten Chips-Sorten und ich staune über die Meeres-Brise, obwohl es doch nur ein Fluss nahe einer Hauptstadt ist… Füße im Sand, Bier in der Hand, Kopf in Ruhe: Ah, toll.
Tag 4: Hamburg -> Insel Poel bei Wismar
Song des Tages
„Photomaton“ Jabberwocky
Die „Franzbrötchen“ am Frühstücksbuffet des Platzkiosks sind aus… Aber das Frühstück mit Franzhonigbrot im Elbsand ist eh noch viel besser! Es gibt für mich kaum was glücklich-machenderes, als mit den Füßen im Sandstrand zu laufen – deswegen genüsslicher Stranspaziergang (zwischen gefühlten 500 Hunden und den dazugehörigen blonden, adretten, gut gelaunten Hamburgerinnen) setze ich mich zum Kaffee in die Nähe des Wlans und arbeite mal wieder was weg. So kanns bleiben!
Vor Abfahrt will ich mal eben noch die Sicherung austauschen, damit ich wieder Radio hören kann. Sicherungskasten dank Handbuch (!) gleich gefunden, er lässt sich leicht öffnen (!) und – Tusch! – neben der sauber aufgereihten (!), beschrifteten (!) und tatsächlich richtigen (!) Sicherung steckt eine neue als Ersatz! Das ist mal ne Steigerung zum alten Franz – ich dreh durch… (und überlege nur ganz kurz, ob mir das Ordentliche nicht vielleicht zu fad ist, verwerfe den Gedanken aber rasch, als ich an meinen alten Franz und dessen sympatisches, aber gruseliges Kabelchaos denke)
Nach einem sehr gemütlichem Plauder-Kaffee auf dem Balkon mit Elbsicht bei Hiske und Norbert (Danke Euch!) will ich zügig ans Meer und biege beim Schild Wismar/ Insel Poel in letzter Sekunde von der Autobahn, weil es sich toll anhört, es schon wirklich spät ist und ich jetzt (!) ans Meer will und nicht erst in einer Stunde bei Warnemünde, wie eigentlich anvisiert…
Und kaum fahre ich etwas langsamer, steigt mir der Meeresduft in die Nase!
Jaa! Endlich!
Der Campingplatz am Ende der Insel hat gegenüber dem Freistehplatz gesiegt: schlechtere Wahl, was die Aussicht angeht, aber eine Dusche war einfach zu verlockend. Und auch wenn es hier nach meiner internen Platz-Bewertungsskala nur für ein ganz niedriges Ranking reicht: immerhin sehe ich das Salzhaff, rieche das Meer, habe viel Platz um mich, höre Gänseschwärme, Möven und Grillen, genieße die salzige Brise und fühle den Sand zwischen dem Gras…
Tag 5: Insel Poel -> Insel Usedom
Song des Tages
„My god knows how to cry“ Hanna Leess
OK: ich habs ja eigentlich erwartet/ befürchtet/ geahnt: der August ist der denkbar falscheste Zeitpunkt für einen ruhigen Strandgang an der deutschen Ostseeküste. Ich fahre von (meinem persönlichen!) Graus zu Graus: Kitschige Disneyland-Leuchttürme als Hotel/ Bar/ Kiosk flankieren die Straßen, unendliche Shopping-Meilen mit Souvenirläden/ Edelboutiquen/ Fischbrötchenbuden weisen den Weg Richtung Strand, Promenadeanlagen versperren die Sicht. Wenn nach Parkplatzsuche das Meer dann endlich in Greifweite liegt, muss neben der Parkgebühr auch Kurtaxe am Automaten und Eintritt zum Strandbad gezahlt werden. Nein, das schaffe ich nicht… Da kann mich kein Matjesbrötchen trösten, auch die Aussicht von der Promenade über die Strandkörbe zum Meer ist nach wenigen Minuten nicht mehr reizvoll: hier ist nicht mein Revier!
Zwar liegen wohl zwischen den Seebädern ein paar eintrittfreie Strände hinter der Düne, die sind aber heute leider (am heissesten Wochenende des Sommers mit Ferien in diversen Bundesländern) wegen Mangel an Parkplätzen kaum erreichbar. Als ich dann endlich (!) doch einen fand, kam mir ein weinender Junge mit Feuerquallen-Wunde entgegen…
Also mache ich mich nach Blick auf Kühlungsborn, Heiligendamm, Warnemünde fluchtartig auf, um mir den vermutlich ähnlichen Rest der Küste dort oben zu sparen und sause einigermaßen genervt Richtung Usedom, in der großen Hoffnung auf einen feinen, ruhigen Stellplatz direkt am Meer… Ja klar: am Freitag Nachmittag in den Ferien im August… Super Idee.
Den ersten, riesigen Campingplatz besichtige ich noch zu Fuß – aber schon diese Art der Rezeption, die Einteilung des Platzes in farbige Sektionen, riesige Tafeln voller Animationsprogramme und monströse Platzordnungen am Eingang lösen Fluchtreflex aus. Und es nutzt mir auch nichts, wenn der als „Naturcamping“ betitelte Platz so voll ist, dass eine Parzellen-Einteilung mehr Stellfläche böte. Wenn das Meer hier greifbar gewesen wäre, dann schon, aber noch nicht mal das…
Gut, ich nicke weise wissend, als ich schweißgebadet von der Halbinsel fahre, dass es einfach nur der falsche Zeitpunkt ist (oder ich einfach nur der falsche Gast für den richtigen Platz) und suche unter Zuhilfenahme meiner recht begrenzten Geduld weiter. Sechs Plätze fahre ich insgesamt an, der letzte muss es sein. Und trotz Überfüllung belatschere ich den sehr netten Platzwart so, dass ich nicht nur doch noch rein, sondern auch noch direkt am Wasser parken darf. So sehe ich beim Abendessen zwar beim tollen Sonnenuntergang auf das „Achterwasser“, muss dabei aber grässlichste Schlagermusik anhören und meine klaustrophobischen Anwandlungen mit dem Kampf gegen die Mückenplage teilen… Passt schon: muss so Tage geben.
Tag 6: Insel Usedom von Dorf zu Dorf
Song des Tages
„Paper Aeroplane“ Angus & Julia Stone
Der ganz frühe Morgen ist schön leise, fast besinnlich am Campingplatz – zumindest bis die ersten Hundebesitzer lautstark (mit ihren Hunden) plappernd durch die Schlafenden schlurfen. Immer wieder über diese Angewohnheit verwundert, bin ich eh schon lange wach, sitze beim Frühstück und schnipple aus weisser Folie mit der Nagelschere den Namenszug für Franz: der soll ja endlich mal vernünftig getauft werden…
Um 11 muss ich vom Platz sein: gar nicht schade. Da ich für heute ein wichtiges Telefongespräch erwarte und dafür das Inland-Netz nutzen möchte, fahre ich erstmal noch nicht rüber nach Polen, sondern nur ein Dorf weiter an den sehr netten kleinen Sportboothafen Ückeritz. Spontan steige ich bei der nächsten kleinen Kutterfahrt zu: ich will endlich wenigstens ein bißchen Salzwasser-Brise spüren, denn ich bin wirklich sehr frustriert, immer noch nicht am echten Meer zu sein – und jetzt weiß ich sogar, dass das „Achterwasser“ noch nicht mal richtig salzig ist… Trotzdem war das kuttern schön!
Für die Nacht hat mir der nette Kutterkapitän empfohlen, mich in Richtung des alten Fischerdorfs Loddin umzusehen: da gäbe es gute Freistehplätze mit Blick aufs Wasser. Frohgemut fahre ich also in den nächsten abgelegenen Feldweg Richtung Küste und erschrecke, als die Piste immer schmaler, sandiger und plötzlich sehr viel tiefer wird – keine gute Idee, hier steckenzubleiben! Mit ziemlichem Herzklopfen fahre ich möglichst zügig weiter, bis ich endlich umdrehen kann und dann den langen schwammig-rutschigen Weg zurück: sehr ungut! Aber gut gegangen.
Auf zivilisierten Wegen finde ich eine gemütliche Gartenwirtschaft und hole mir beim fürstlichen Matjes die Erlaubnis, auf deren Wiese die Nacht zu verbringen. Spät wird Franz dann noch mit einem Schluck lokalem „Köstritzer“ Schwarzbier getauft, bevor ich mich in meine Höhle zurück ziehe und die Nacht um mich rum wird immer stiller…, einsamer… und dunkler…
Tag 7: Labbin -> Rewal, Polen
Song des Tages
„Papertrails“ Darkside (Danke, Jens!)
Eine riesige Schar piepender Vögel reisst mich beim ersten Sonnenstrahl aus tiefem Schlaf: wie schön, so aufzuwachen! Flott stapfe ich durchs Gras auf die Aussichtsplattform über dem Schilf und bin frühmorgenfröhlich!
Schon um 8 bin ich auf dem Weg Richtung Osten. Meine so gute Laune wird leider stetig trüber… Es ist hier einfach nicht so, als dass ich hier sein will! Es ist einfach nur voll! Ich mag nicht in Horden zwischen grässlichen Buden zum Meer wandern. Ich mag keinen Parkplatz suchen müssen, um das Meer sehen zu können. Ich mag mich nicht zwischen all die Strandkörbe quetschen, um am Strand zu sitzen. Ich bin quengelig, unfroh und vor allem unklar. Ja: mir ist bewusst, dass ich von meinen Balkan-/ Griechenlandreisen verwöhnt bin, wo man einfach den ganzen Tag an der Küstenlinie entlang fährt und immer genau weiss: hier bin ich (nicht nur physisch) richtig. Wo man immer die Augen auf dem freundlich gesinnten Meer ausruhen kann, fast überall am Strand Frappé bekommt und meist direkt am Wasser übernachten kann. Tja. Ich wusste, dass es hier so ist – aber so arg?
Jetzt heisst es: das Beste draus zu machen. Daheim will ich auch nicht sein. Ich checke auf der Suche nach einem Strandkaffee noch die berühmte Seebrücke von Ahlbeck und – schwupps – bin ich fast unmerklich drüben in Polen. Nur dass die Straße plötzlich aus Kopfsteinpflaster ist, die Preistafeln erschreckend hohe Zahlen anzeigen (weil Zloty) und überall Schilder „Billige Zigaretten“ schreien.
In Swinemünde darf ich mich mit Franz (kostenlos!) über den Swine-Strom tragen lassen – die kurze Strecke habe ich ein wunderbares Urlaubsgefühl mit Fernweh und Fährensehnsucht… und überlege, ob ich nicht von hier aus mit der Fähre doch lieber gleich nach Schweden…
Kurz drauf finde ich meinen Morgenkaffee am Strand bei zwei netten Jungs, die vom mobilen Kaffeeradl aus besten Cappuchino verkaufen (und dankenswerterweise auch Euro annehmen). Kurze Rast. Weniger Strandkörbe, dafür mehr aneinandergereihte, sauber abgesteckte „Gärtchen“ und ebensoviele Menschen. Also weiter.
Ich beschliesse, diesen tollen Sommertag nicht zum Fahren, sondern zum Arbeiten zu nutzen und kehre recht früh auf einem Campingplatz ein, der mir (entgegen 20 vorangegangener) einen guten Eindruck macht: nicht direkt an der Hauptstraße, dafür mit direktem Strandzugang. Ganz hinten im letzten Eck finde ich abseits Aller einen super Platz unter der Birke, lasse mich nochmal von dem vollen Sandstreifen abtörnen und setze mich vor Franz in den Schatten, um bis in die tiefe Nacht zu arbeiten. Erst ein fieses Gewitter lässt mich fluchtartig den Sommerabend/ Arbeitstag beenden.
Tag 8: Rewal -> Sarbsko See, Polen
Song des Tages
„Autobahn“ Ohrbooten (Danke, Luisa!)
„…denn das Leben
ist wie eine große Autobahn:
lass uns nicht lang überlegen,
sondern losfahren!
Wohin is egal
und wo lang werd ma seh‘n,
es wird immer weiter gehn…“
Campingplatz am Sarbsko-See
Ganz früh gehe ich meine Runde am Strand, genieße die (jetzt sichtbare) Weite des Strandes und lass mir den Wind um die Ohren brausen. Schon schön, so im Detail betrachtet…
Nach dem nächtlichen Gewitter ist es plötzlich herbstlich-kühl und so ist der heutige Plan, mich möglichst viele Kilometer von all dem Wahnsinn zu entfernen. Franz wird auf Vordermann gebracht und mittags gehts nach Osten/ grob Richtung Danzig.
Ich verbringe den Tag auf der Straße und freue mich! Ich fahre einfach so gerne und gucke, staune, singe, tanze, denke… immer wieder biege ich von der Hauptstraße ab, kurve durch die Dörfer und kriege mich gar nicht ein, so verwunschen finde ich es hier. Ich bin ganz verliebt in die rumpeligen Ortsstraßen. Den krassen Regenschauer verbringe ich im Franz schlummernd auf einem Rastplatz zwischen meinen Trucker-Kumpels und bin so dankbar für diese wundervolle Unabhängigkeit.
Ich bin ja gänzlich planlos, habe keinen Polen-Führer und auch keine Campingplatz Übersicht dabei und so steuere ganz aus dem Bauch raus einen großen See im Naturschutzgebiet an, den ich auf meiner Oldschool-Europa-Karte finde: da wird es ja wohl einen Campingplatz geben, mit viel Glück vielleicht sogar mit Seeblick? Es wird spät. Verschwindendes Tageslicht macht mich immer etwas unentspannt, ich will ganz gerne mein Nest gefunden haben, bevor es dunkel ist. Aber diese drei wirklich zwielichtigen Typen am Eingang eines ganz einsamen Campingplatzes lassen mich doch rasch (dabei freundlich lächelnd) den Rückwärtsgang einlegen und rückwärts die Stichstraße zurückrumpeln.
So schunkle ich 15 Kilometer über ratternde Sandpisten und tiefe Schlaglöcher zurück zur Hauptstraße und orientiere mich Richtung Leba, einer etwas größeren Stadt am See, denn jetzt muss es rasch (!) irgendein (!) Übernachtungsplatz werden. Aber mein eigenes Daumendrücken wird belohnt! Lauthals juble ich, als mir im letzten Tageslicht ganz zufällig ein wirklicher Traumplatz begegnet! Total leer, sehr sympathisch cool und direkt am See. Na, siehste…
Tag 9: Sarbsko See, Polen
Song des Tages
„Fast car“ Tracy Chapman (Danke an die Tawerna am Ufer!)
Campingplatz am Sarbsko-See
Perfekter Platz,
perfektes Wetter,
perfekte Tawerna,
perfekter Tag,
perfektes Dasein.
Danke.
Tag 10: Sarbsko See -> Halbinsel Hel, Polen
Song des Tages
„Thin line“ Jurassic 5
Es gibt so Plätze, da verabschiede ich mich ausgesprochen schlecht. Und dieser hier am Sarbsko See ist einer, den ich extremst ungern verlasse! Hier stimmt einfach alles, hier könnte ich einfach mal bleiben – einfach, weil er perfekt ist. Aber „einrentnern“ ist nicht der Plan, ich will ja noch was sehen von der Welt! Also steuere ich die Halbinse Hel an, hier wollte ich eh hin und habe vom Nachbarn eine tolle Platzempfehlung für’s äußerste Ende bekommen. 2,5 Stunden sagt das Navi und ich weiß, ich werde den ganzen Fahr-Tag für diese Strecke brauchen.
Auch hier, weit im Osten, sind die Strandzugänge immer noch mit Kiosken gesäumt, abschreckend genug für mich, um auf den Kaffee am Strand zu verzichten und durch (für mich langweilige) gediegene Dörfer zu fahren. Aber ich habe trotzdem das Gefühl „heim“ zu kommen: auf Hel empfangen mich die gleichen hohen Wälder, wie ich sie vom Baltikum kenne…
Der super Tipp erweist sich als super Graus: angrenzend zu einem Schrottplatz/ verfallenden Schuppen ist hier null Strand in Sicht und dafür eine einzige grässlich vergammelte Dauercamper-Wohnwagenburg. Schnell wieder weg!
Aber vorher will ich mir die Kneipe am Rande der Platzeinfahrt genauer ansehen und kann‘s echt nicht glauben: ein Sammelsurium an militärischen Ausrüstungsgegenständen, Puppen als Fallschirmspringer und Wachsoldaten, gepaart mit „Achtung, Sie betreten Militätgebiet“-Schildern, Uniformen, Mützen, Abzeichen, Gewehren… gekrönt von lautstarker Marschmusik und nebenan ein Stand, an dem man auf Pappkameraden schießen kann. Gerade betrete ich, vobei an der originalen Gulaschkanone, aus der hier das Essen serviert wird, den Kneipenraum, da fliegen sieben Überschallflugzeuge von Osten kommend direkt über uns hinweg. Ich gerate in leichte Panik und überlege mir reflexartig mit Gänsehaut und Herzklopfen eine Fluchtmöglichkeit, während die Besucher völlig entspannt ihre Suppe weiter löffeln… Ich finde es echt so schauderlich! Als der Spuk vorbei ist und wieder Ruhe herrscht (bzw. die Marschmusik dominiert), spreche ich Deutsche an, was sie von der Sache hier halten. Einer findet es ganz cool, dass die Polen so entspannt mit der historischen Vergangenheit umgehen, ein anderer lobt den „musealen Charakter“, ein dritter erzählt, dass er Kriegsbewältigung in Vietnam noch deutlich krasser gesehen hat. Alle sind sich einig, dass es hier, an diesem historischen Ort (hier wurden im 2. Weltkrieg harte Kämpfe ausgefochten und es wird auf der ganzen Halbinsel mit alten Bunkermuseen daran gedacht) richtig ist, sich an die Geschichte zu erinnern und dass eigentlich die ganze Welt ein viel entspannteres Verhältnis zu diesem Thema hat. Aber wir sind uns auch einig, dass es uns hier trotzdem irgendwie komisch vorkommt, wir wissen nur nicht, aus welchen Gründen wir so empfinden…
Ohne Erkenntnis und sehr nachdenklich fahre ich den Weg zurück und parke auf dem erstbesten (völlig überteuerten) recht grässlichen Campingplatz mit Strandzugang, um den Rest Sommersonne ganz friedlich im Sand zu genießen…
Mein Stellplatz für diese Nacht ist in inmitten der verwahrlosten (und zum Glück menschenleeren) Wohnwagenburg in der dritten Reihe. Immerhin – denn er sollte eigentlich zwischen Müllstation und Sanitäranlagen sein und wurde mir wieder nur mit großer Überredungskraft und Strahlelächeln zugestanden. Ich bin mit meinen Platzansprüchen schon sehr eigen, ich weiß – aber ich brauche keine super Duschen, keine großartigen Animationen, Shops, Liegestühle… sondern nur: viel Platz um mich rum, Wasser in allernächster Nähe und (leider auch) Stromanschluss. Na gut, auf den Platz um mich kann ich verzichten, wenn ich dafür den Sonnnuntergang am Strand verbringen kann.
Fein!
Tag 11: Halbinsel Hel -> Danzig, Polen
Song des Tages
„No diggity“ Blackstreet ft. Dr. Dre
Campingplatz bei Danzig
Ein paar Meter entfernt vom Stellplatz bin ich zum frühmorgendlichen Arbeiten in den Genuß von freiem Wlan im Liegestuhl der Strandbar gekommen. Sehr, sehr fein! Und um das Laptop am Strand mit Strom zu versorgen (der Akku läuft ärgerlicherweise nur noch knapp ne Stunde), habe ich McGyvermäßig die Starthilfe-Notbatterie mit dem Stromwandler verbunden und an dem dann den Rechner eingesteckt: tricky, oder!? (Ginge sicher auch eleganter – aber mir egal, so gehts auch) Also: kein Grund zur Beschwerde, der Platz – aber wohlfühlen geht anders und so starte ich gerne gegen Mittag grinsend in Vorfreude auf Danzig…
Den Stellplatz möglichst in Danziger Innenstadtnähe will ich von unterwegs aus recherchieren und brauche dafür freies Wlan: da bietet sich doch mal wieder McD an, der hier gefühlt an jeder Straßenkreuzung zu finden ist und mir zuverlässig gutes Netz zum Kaffee im Schatten schenkt: nett von dem Clown.
Für einen kurzen Halt steuere ich das empfohlene Seebad Zopot an. Ich fahre ja immer (!) erstmal bis quasi rauf auf die Strandpromenade, um von hier aus einen Parkplatz zu suchen: diese Strategie hat sich bewährt (auch in Kühlungsborn konnte ich direkt am Ort des Geschehens parken – ich hatte nur leider übersehen, dass der Spitzenparkplatz für Behinderte reserviert war… egal: die Freude über den Platz in vorderster Linie hat das Knöllchen leicht wett gemacht!). Und auch hier hat sich gleich ein dufter Platz gefunden (legal!). Das Klapprad Ernie rausgeholt und total entspannt durch die Fußgängerzone geradelt… An der berühmten Seebrücke weigere ich mich, die ca. 2 Euro Eintritt zu zahlen – dafür sehe ich ein großartiges Schild mit der Anleitung „zum richtigen Verhalten bei einem Terroranschlag“. Ich muss grinsen: das kann ja nur eine künstlerische Provokation sein, oder? Vier Paare befrage ich: 2 deutsche, 2 polnische – die Hälte davon sieht es wie ich, die anderen nehmen es ernst. Aber es entfacht zumindest zwischen uns eine längere Diskussion und nette Gespräche – es wäre schön, wenn nur das das Ziel des Schilds gewesen ist!
Generell gefallen mir die Beschilderungen sehr, die ich bis jetzt gefunden habe – großartig ehrlich, verständlich und direkt! Langsam: da vorne darf man Piesi machen. Achtung: Männer kreuzen die Straße aber Frauen helfen ihnen dabei. Logisch: Gier-Gefahr!
Ich fahre erfreut in den Danziger „Camperpark“ und grinse über die sehr typische Platzverteilung: alle großen Camper „kuscheln“ sich (frei gewählt!) Tür an Tür nebeneinander, während der große, restliche Platz unter uns „Busfahrern“ mit möglichst viel Abstand gerecht verteilt wird… Kurios – aber immer wieder so!
Tag 12: Danzig
Song des Tages
„Coming home“ Leon Bridges
Campingplatz bei Danzig
Mein „Camperpark“ ist super. Schön und gepflegt, ausgesprochen freundlich und das Beste: perfekt angebunden. Mit Klapp(er)radl Ernie steige ich in die Tram, bin in 30 Minuten im Zentrum – und bin vom ersten Moment an begeistert. Auch wenn ich in den beiden Tagen lerne, dass die beeindruckenden Fassaden nach Kriegsende nur „in etwa“ nachgebaut wurden (die historisch wertvollen Gebäude natürlich ganz exakt) und die ganze Innenstadt daher eher ein Blendwerk ist – aber es ist ein schönes Werk! Die Touristenströme, Kitschstände, Verkaufsbuden… (ich möchte nicht wissen, was hier im August los ist!) sehe ich kaum, da ich die ganze Zeit nur gebannt an die Häuser starre und mich an dieser Detailvielfalt ergötze. Ich klappere mit Ernie kreuz und quer durch die Straßen und nehme dann eine „Wassertram“, die mich durch die Stadt, entlang der Werft (Aaah: ich steh einfach auf diese Industrieanlagen!) und bis zur Westerplatte schippert.
Geschichtsunterrichtauffrischung: Hier wurden am 1. September 1939 (also gestern (!) vor 77 Jahren) die ersten Schüsse abgegeben und damit der Krieg „eröffnet“. Zum Gedenken ist hier ein riesiges Park-Areal mit den historischen Bunker- und „Batterie“-Anlagen errrichtet – und es gibt die komplette Ausstattung zum Nachspielen an den Souvenirständen. Für die Mädchen Glitzerzeug, für die Jungs Handgranaten und Knarren aus Holz, Gasmasken aus Plastik und allerlei passende Klamotten… Ich spreche den Verkäufer an, wer das Zeug kaufen würde und er sagt, dass Jungs aus aller Welt sich darüber freuen, es läuft sehr gut, das Geschäft…
Ich freue mich natürlich, wieder etwas skuriles entdeckt zu haben und gleichzeitig gruselt es mich extrem: welche Eltern um Himmels Willen kaufen ihren Sprösslingen im Angesicht dieser Stätte, in diesen Zeiten Waffen zum „Spielen“? Den Verkäufer jedenfalls verwundert meine Frage sehr: „But it‘s just for fun!“… Irre!
Rechtzeitig vor Dunkelheit bringt mich die Tram zum Campingplatz zurück und ich sehe mir noch den ganz nah gelegenen Strand an, der ein beliebtes Ausflugsziel der Danziger ist, obwohl inzwischen die Aussicht vom Containerhafen etwas getrübt ist. Und während ich so im schnell kühler werdenden Sand sitze, beschließe ich, am morgigen Tag nochmal Danzig zu genießen. Und das will was heissen, bei mir, die ich doch sonst so ungerne Städte besichtige…
Tag 13: ein bißchen verliebt in Danzig
Song des Tages
„Late in the evening“ Paul Simon (Danke, Franzi!)
Eher zufällig hatte ich im Internet die Führungen von Andreas (Nachtrag: leider nicht mehr online) gefunden und bin gleich Feuer und Flamme, mir Danzig richtig zeigen zu lassen. Leider hat er keine Zeit, lädt mich aber lieberweise („als Entschädigung“) zu Danzigs leckerstem Kaffee ein. Hach: ist das nett! Um 10 treffe ich ihn also im Café Drukarnia in Danzigs schönster Gasse, von der ich am Tag vorher schon ganz verzaubert war. Das Café war mir auch schon aufgefallen, weil es inmitten der typischen Touristenlokale deutlich heraussticht und mein Grafikerherz sehr erfreut! Ist das toll hier, wirklich ganz nach meinem Geschmack – und die Espresso-Tonic-Kombi schmeckt hervorragend zum grandiosen Käsekuchen!
Andreas sprudelt über vor spannenden Geschichten und so genieße ich einen wirklich wunderbar lustigen Vormittag. Ich nutze den traumhaften Sommertag, um die auf dem Plan eingezeichneten Tipps anzuradeln und mache dann noch die klassische (auch sehr lehrreiche und unterhaltsame) Führung der Touristeninformation zu Fuß mit.
Dank meiner Radl-Mobilität kann ich ordentlich „Strecke machen“ und mich auch weit ausserhalb der abgezirkelten Touristen-Meile umgucken, wo ich durch etwas verfallenere Wohnblöcke und coole Kneipen trudle. Es macht mir supergroßen Spaß, mich durch eine wirklich heimelige, sympathische Stadt treiben zu lassen… und ich fasse den Plan, möglichst bald nochmal hierher zu kommen.
Aber was mich wirklich am meisten erfreut: alle, wirklich alle sind unfassbar freundlich. Die Tram-Schaffnerin führt mich persönlich zu dem Platz, wo das Rad am besten stehen soll, der „Wassertram-Matrose“ wartet auf mich, als ich um die Ecke gelaufen komme und hebt mir den Ernie über die Reling, ich bekomme lauter nette Kommentare zu meinem wirklich störenden Rad in der Tram und wenn ich dann bedeute, dass ich leider nichts verstehe, ein sehr ehrliches Lächeln mit langem, klaren Blick in die Augen. Sehr, sehr schön, hier.
Tag 14 & 15: Danzig -> Masuren, Polen -> Kaliningrad, Russland
Song des Tages
„The road is lonesome“ Club des Belugas (Danke, Moni!)
„…and the road is lonesome
before you travel on it…“
Stellplatz bei Kaliningrad
Die sehr netten Platzbetreiber in Danzig erlauben mir, so lange zu arbeiten, wie ich möchte, bevor ich mich losreissen kann. So starte ich erst nach 15 Uhr Richtung Süd-Osten/ Masuren. Ganz oberflächlich und aus dem Bauch raus wähle ich einen See, dort einen Campingplatz und peile an. Das erste Mal habe ich ein richtiges Navi dabei (Danke, Papi) und es ist wirklich ein Quantensprung an Komfort. Ich bin echt dankbar, fast hätte ich es nicht mitgenommen, denn bisher habe ich fast nie eins gebraucht: die Orientierung nach Küstenlinie oder Sonnenstand hat immer gut ausgereicht. Aber hier führen die Straßen kreuz und quer durchs Land und dazu kommt heute fieser Regen, absolut trüber Herbst. Und ich bin – nach den traumhaften Sommertagen in Danzig – grad ein bisserl müde und genervt vom Grau und vom Fahren: also will ich einfach nur schnellstmöglich ankommen…
Mein Ziel ist eine umzäunte Wiese mit Campingplatz Beschilderung. Dieses Grundstück liegt total versteckt im Wald und ich erreiche es (mit ein paar Abstechern durch die Dörfer) pünktlich zur Regenpause. Also „Franz-Installation“ (möglichst abseits Aller parken, Strom anstecken, Auffahrkeile drunter), ein kurzer Rundgang, Essen rasch im Stehen unter der Markise, dann rein: es regnet wieder und ich hab noch was zu tun…
Über Nacht hat es sich ausgeregnet, ich arbeite während des Frühstücks, bis ich um 11 diesen Campingplatz verlassen muss. Es ist eigentlich ganz schön hier: die absolute (!) Stille, ein um den Platz laufender breiter Kanal und sonst nichts! Fein – aber ich will weiter. Im Groben steuere ich mal wieder nach Nord-Ost: heute nochmal Polen, morgen über die Grenze nach Russland, bis nach Kaliningrad, aber zuvor will ich mich noch ein wenig weiter im masurische Hinterland umsehen. Ich habe von einem netten Ort am See gelesen, dort fahre ich noch hin und dann dreh ich Richtung Kaliningrad. Die Gegend ist schon ganz schön, aber irgendwie hatte ich mir etwas spektakuläreres erwartet. Ich weiß nicht genau was, aber seit ich alle Siegfried Lenz Bücher gelesen hatte, war ich mir sicher, dass Masuren eine verzauberte Landschaft sein muss… Tja: wahrscheinlich habe ich nur gerade zu wenig Geduld. Wahrscheinlich muss man hier mal zwei ganze Wochen verbringen… Masuren steht also weiter auf der Liste, denn diese Seen sehen wirklich extrem schön aus – aber diesmal wird das nix mit uns, ich bin zu unruhig.
Der Ort erweist sich leider als fatale Fehlinformation: Fiese Tourihölle im Nachsaison-Blues, die entsprechend fiesen Campingplätze drumrum. Ich will ein Stück weiter weg nach einem Platz suchen, dann früh das Fahren aufhören und lieber in der Sonne sitzend arbeiten. Aber – schöner Mist! – nach dieser Ansammlung von Plätzen gibt es keinen einzigen mehr, nirgendwo! Ich fahre und fahre: nix! Und ganz plötzlich, nach der Kurve: 40er Schild und – Zack – Zaun, Schlange, Stillstand. Ah, ich ärgere mich! Ich bin gefangen vor der Grenze, umdrehen ist unmöglich. Es beginnt zu dämmern und ich merke, dass es ewig dauern wird, hier durch zu kommen. Unschön! Aber es nutzt nix, ich nehme es, wie es ist, auch wenn ich über den unnötigen (Anfänger-)Fehler grummle. Also: während des Wartens essen und atmen.
Fast 3 Stunden dauert es, bis Polen und Russen gleichermaßen gründlich Pass und Kfz-Papiere gecheckt haben und mich der Grenzer nach genauer Inspektion aller Schränke durch die Schranke in die tiefe Dunkelheit entlässt. Fühlt sich nicht super an, passt aber stimmungsmäßig irgendwie, oder? Zum großen Glück ist Kaliningrad überall groß angeschildert und die autobahnähnliche Straße ist perfekt. Ich halte mich strikt an die Geschwindigkeitsangaben – alle anderen nicht: mir egal, dass ich die anderen nerve. Da das Navi keine russischen Karten hat, muss ich aufs Handy zurückgreifen, was mich dafür unendlich nervt. Und ausgerechnet da, wo ich irgendwohin abbiegen soll, ist ne fette Baustelle auf der Brücke mit völligem Chaos! Ich seh nix, weiss nicht genau, wohin und das Handy findet mich nicht mehr. Ich weiß nur die Richtung, in der das Ziel liegt, aber Orientierung nach Sonnenstand ist bei purer Dunkelheit halt auch mäßig. Mit ruhig Blut, nervig-langsamer und dabei sehr unkonventioneller Fahrweise (stehenbleiben und U-Turn ist vielleicht auf Russlands Autobahn auch nicht so üblich, aber es ist so dunkel und so ein Chaos: da falle ich wohl nicht weiter auf…) komme ich dank meiner eingebauten Navigations-Spürnase doch noch dorthin, wo ich will, auch wenn ich vielleicht direkt über die Baustelle gerumpelt bin, statt die richtige Abfahrt zu nehmen. Egal! „Hotel Baltika“ gefunden, eingecheckt und geparkt. Auch wenn der Mann an der Rezeptipn ausgesprochen unfreundlich ist und alles stockdunkel ist und ich nicht wirklich sehen kann, wo ich bin – es überwiegt meine Freude, dass der Platz ruhig und eingezäunt ist.
Es ist der einzige „Campingplatz“ in der ganzen Oblast Kaliningrad: eine Wiese hinter dem Haus und ich stehe allein. Bisserl gruselig. Spät ist es, ich kuschel mich in meinen Franz und schlafe hervorragend.
Tag 16: Kaliningrad, Russland
Song des Tages
„Soldiers eyes“ Jack Savoretti
Stellplatz bei Kaliningrad
Tipps zur Einreise nach Russland
Wunderbar: die Sonne scheint! Beim Kaffee im Hotel nutze ich das freie Wlan und mache mich so schnell ich kann fertig, um mit dem Bus in die Innenstadt zu fahren – Ernie muss natürlich mit. Da ich keinen Stadtführer besitze und das Hotel keinen Stadtplan rausrückt, habe ich überhaupt keine Idee, wo ich hin soll. Also lasse ich mir von der Schaffnerin das Ticket geben (18 Rubel, umgerechnet ca. 30 Cent) und steige einfach aus, als ich die erste goldene Kuppel hervorspitzen sehe – hier wird ja wohl irgendwo der Touristen-Hotspot sein…
Ab jetzt heißt es wach im Kopf bleiben, damit ich wieder zurück finde, denn lesen kann ich echt gar nix… Mir gefällt dieser Zustand: Ich bin echt wieder mal nur auf die Sonne und meine Kompass-Nase angewiesen und darauf, dass ich mich ganz bewußt bewege, immer klar bleibe, wo ich bin, wo ich her komme…
Und als erstes tappe ich in die Markthallen: großartig. Hier gibt es alles! Ladenzeilen von Taschen und Schulranzen, Süßigkeiten und Plätzchen, Gemüse natürlich, Fisch und Fleisch, Kosmetikartikel, Klamotten und Jogginghosen aller Farben, Orden und Uniformen, Dessous und Perücken! Begeistert sauge ich alles auf und ich wundere mich dabei, dass die Händler quasi stumm und reglos in ihren Buden sitzen, statt die Vorbeilaufenden anzusprechen.
Angesichts der Tristesse dieser Stadt überlege ich, nur kurz zu bleiben und dann weiter nach Litauen zu fahren. Andererseits bin ich fast sicher, dass ich Kaliningrad nicht mehr so schnell besuchen werde – also nutze ich die Gelegenheit (wenn ich schon mal hier bin) mich richtig umzusehen. Mit dem Radl komme ich ganz gut voran, kann wieder einen großen Radius abfahren, wobei ich sicherheitshalber (wie die wenigen anderen Radler, die ich sehe) lieber auf dem Bürgersteig bleibe. Nach diesem Tag weiss ich allerdings, dass mein Klapprad auch bestens für Downhill-Trails geeignet wäre: also, der Zustand der Straßen/ Trottoirs ist schon echt sehr (!) abenteuerlich/ sportlich…
Zufällig stoße ich auf ein paar Touristen-Highlights: eine tolle orthodoxe Kirche (darf ich nur mit geliehenem Kopftuch betreten), ein Leuchtturm mit dazugehöriger Disneyland-Atmosphäre am (dreckigen) Fluss, eine alte Brücke mit den obligatorischen Liebes-Schlössern, eine sehr alte Kirche (deren Eintritt mir zu hoch ist) – und das Bunker-Museum. Nach diesem hätte ich echt als letztes gesucht, aber wenn ich schon quasi drüberstolpere, gehe ich halt auch rein… und komme mit Tränen in den Augen raus. Eine gelungen gemachte Gedenkstätte für die Grauen des so sinnlosen Krieges: ich bin ganz berührt (und vergesse darüber meine Verwunderung über den Verkauf von Patronen-Schlüsselanhänger).
So klappere ich den ganzen Tag durch die (meist kleineren) Straßen und bin erstaunt, wie unglaublich unsympathisch diese Stadt ist. Gleichzeitig bin ich mir im Klaren, dass Danzig (München/ Dresden…) ebenso ätzend wäre, hätte die Nachkriegsgeneration nicht so viel Wert auf die Erhaltung des Alten gelegt, was hier definitiv versäumt wurde. Kaliningrad ist so trist, wie eben nur nicht-gewachsene Städte sein können. Und dazu völlig ohne Charme, weil diese Bauten halt keine Patina bekommen, sondern einfach nur hässlich verfallen. Unsympathisch – aber genau deswegen (für mich) interessant.
Tag 17: Kaliningrad, Russland -> Nida, Litauen
Song des Tages
„Going Up The Country“ Kitty, Daisy & Lewis (Danke, Franzi!)
Campingplatz auf der Nehrung
Was habe ich für ein Wahnsinns-Glück mit dem Wetter (nicht nur mit dem natürlich!) Die Sonne lacht mich noch früher als sonst aus dem Franz (denn hier sind wir eine Stunde voraus!). Mit sehr lauter Musik cruise ich die superperfekte Autobahn entlang und schmunzle über die totale Unfähigkeit, mich auch nur ansatzweise per Schild zu orientieren. Wie gut, dass mich mein Navi wiedergefunden hat und auch weiß, wo lang es gehen soll.
Die Polizei winkt mich raus, hektisch überdenke ich all meine vermeintlichen (Fahr-)Fehler – aber der Kappo will seinem Lehrling wohl nur zeigen, wie ein deutscher Führerschein (oder der einzig regeltreue Fahrer weit und breit!) aussieht.
Die Einfahrt auf die kuhrische Nehrung (auch auf russischer Seite ein Naturschutzgebiet) kostet 300 Rubel, also etwa 4,50 Euro (nach Litauen dann 15 Euro). Ich liebe diese geraden, leeren Straßen durch den Wald so sehr! Zeit für eine kleine Pause, ein paar Schritte nur sind es barfuß durch den Wald zur Ostseee – und ich atme lang (!) und tief (!) und bin sehr beglückt! Genau SO muss „mein“ Meer aussehen, so muss es riechen und sich anfühlen… Lange kann ich mich nicht trennen – wie seltsam, dass ich bei diesem Anblick sofort (!) zur Ruhe komme, das Gefühl habe, anzukommen…
Die Grenzanlage wirkt so ausgestorben, dass ich kurz überlege, ob sie vielleicht geschlossen sein könnte, aber da schleicht doch schon der erste Soldat betont langsam um die Ecke… Ich brauche eine dreiviertel Stunde, fünf (!) Mal zeige ich Reisepass und Autopapiere, einmal verdreht ein Grenzer seufzend die Augen, weil ich die „Zollerrrklääärrrung“ nicht habe, aber irgendwie gehts wohl auch ohne. Lustigerweise untersucht der russische Drogenhund meinen Franz bei der Ausreise: hmmm… ob die ihre Drogen wohl im Land behalten wollen? Aber weder der russische, noch der litauische Grenzer haben etwas zu beanstanden, allerdings fragen mich beide, wo denn mein Mann ist. (Vielleicht sollte ich mir mal eine wirklich witzige Antwort für diese häufige Frage ausdenken… )
Nur 4 Kilometer nach der Grenze wartet der „Nidos Kempingas“ auf mich, der schöne Campingplatz mitten im Wald, den ich vor genau 11 Monaten schon mal gefunden hatte. Ich bin hoch erfreut über die Waschmaschine samt Trockner (eine Seltenheit!) und die warme, herrliche Sommersonne zum Kaffee!
Und mein Feierabendbierchen am Ostseestrand wird mit einem unglaublichen, unrealistischen, unbeschreiblich spektakulären Sonnenuntergang gekrönt. Wahnsinn!
Tag 18 & 19 & 20: Nida, Litauen -> Riga, Lettland
Song des Tages
„Just breathe“ Pearl Jam
Campingplatz in Riga
Der traumhafte Sonnenuntergang hat die Sonne verscheucht und es nieselt am nächsten Morgen. Beim Frühstück erkläre ich diesen trüben Tag zum Arbeitstag, setze mich gemütlich unter die Markise und schaffe ganz konzentriert ganz viel weg! Abends ist es so schön, dass ich mich zur kurzen Arbeitspause nochmal am Strand blicken lasse und den wenigen harten Frauen beim Plantschen zusehe.
Der nächste Tag begrüßt mich wieder mit Traumwetter und weil ich den Platz und den Strand so superschön finde, beschließe ich, heute einfach mal ganz faul zu sein und echten Urlaub zu machen. Ich finde, dass ich das mal verdient habe! So lege ich mich an den Frauenstrand (Litauens Strände sind streng unterteilt in FKK-, Frauen- und Familienabschnitte) und bin so unglaublich begeistert, was für eine herrlich entspannte, gemütliche Atmosphäre hier unter den „Mädels“ herrscht. Zur Hälfte sind es kleine Damenrunden, die ratschen, Kaffee trinken und dann gemeinsam johlend ins Wasser laufen oder Frauen, die alleine hier sind und einfach nur genießen… Ich bin noch nie (!) so gerne und so lange einfach so am Strand gelegen…
Nach dem Sonnenuntergang verbringe ich den Abend herrlich ratschend mit meiner Platznachbarin und wir unterhalten uns nicht nur über unsere (ähnlichen) Erfahrungen des Alleinreisens, sondern sie erzählt mir unglaublich spannende Lebens- und Reisegeschichten. Toller Abend, Beate!
Die geplante Reisezeit ist zur Hälfte rum und ich hab ja eigentlich noch wirklich viel vor, will ja eigentlich auch noch viel sehen… also trenne ich mich (schweren Herzens!) von diesem gemütlichen Strand und mache richtig Strecke, indem ich mir die Küste spare (die ich ja letztes Jahr schon genau so abgefahren bin) und sause in einem Rutsch quer durch Litauen zur lettischen Hauptstadt Riga.
Der Kilometerzähler rundet genau auf 3.000, als ich in Riga einfahre und obwohl das Navi pünktlich zum Stadtverkehr mal wieder stecken bleibt, finde ich auf Anhieb den Campingplatz auf einer Insel ganz nahe der Altstadt. Nix dolles, aber sauber, Bier im Kühlschrank und nette Leute. Reicht für eine ruhige Nacht.
Tag 21: Riga, Lettland
Song des Tages
„Perlentaucher“ Klangtherapeuten (Danke, Luis!)
Campingplatz in Riga
Ach jaaa: und noch eine Stadt für mich und eine nächste Reise! Die sogenannte „Perle des Baltikums“: ein ganzer Tag reicht nicht, sich die Stadt ganz anzusehen, aber ich bin schon nach diesen paar Stunden voll begeistert!
Nach einem groben Überblick der Touristen-Highlights in einer Bus-Führung, die tollerweise direkt am Campingplatz gestartet ist, streune ich wieder völlig planlos mit meinem Klapprad durch die Straßen. Ich vermeide großräumig den Touristen-Auflauf der Altstadt und lasse mich lieber beeindrucken von den abgerockten Hinterhöfen, dem überall präsenten Kopfsteinpflaster und den tollen, alten Holzhäusern. Im Viertel daneben bezaubern mich der unglaubliche Reichtum der Jugendstilhäuser, die wunderschönen Parks, Unmengen an wirklich originellen Cafés, Kneipen, Läden und die sonntäglichen Bootsfahrer im Kanal – alles so liebevoll/ gepflegt/ gewertschätzt… ich freue mich einfach über diese gelassene, extrem gemütliche Stimmung in dieser Stadt und verbringe einen perfekten Sommertag.
Und dann laufe ich doch noch durch die Menschenmengen des Zentrums, denn Andris (ein originaler Rigaer) nimmt sich Zeit, mir ein paar spannende Geschichten und ganz besondere Ecken zu zeigen und erzählt dabei viel von der Historie der Letten. Ein großartiger Nachmittag: Danke, Dir Andris!
Tag 22: Riga, Lettland -> Pärnu, Estland
Song des Tages
„Trouble“ Robots don‘t sleep
Campingplatz in Pärnu
Riga war wirklich toll, ich überlege sehr lange, ob ich mich nicht doch noch einen Tag in der Stadt tummeln soll… Aber jetzt rennt die Zeit dahin! Ich sehe mir meine Landkarte mal mit scharfen Auge an und nach realistischer Schätzung meiner Tagesfahrleistung vs. Anzahl der übrigen Tage komme ich entspannt nur bis nach Helsinki. OK, dann halt nur bis dahin, passt ja auch. Dann habe ich für die nächste Tour das Ziel, die Ostsee von der anderen Seite einzukreisen: auch gut.
Eigentlich will ich bis nach Tallin, wieder mal ein Stück vorwärts kommen, aber es geht einfach nicht. Ich weiss nicht, was mich drängt, stehen zu bleiben, aber an manchen Orten hört Franz einfach auf zu fahren, damit ich eine Pause mache. Diesmal direkt an der „Grenze“ zu Estland, die wirklich kaum zu erkennen ist: nur ein in den Bäumen versteckter alter Aussichtsturm und ein kleines Schild weisen auf den Wechsel in mein 6. Reiseland hin. Ein ewiger, etwas wackeliger Holzsteg führt durchs Schilfmeer Richtung Strand, wechselt zu einem langen Steindamm: mein persönlicher, sehr genußvoller „Barfußpfad“. Beim Tappen über die warmen, runden, fast weichen Steine genieße ich die Seebrise, das Rascheln des Schilfs, das fast zarte Branden der Miniwellen und bin so dankbar für meine Planlosigkeit, die mir solche Orte schenkt.
Ich entscheide, den nächstmöglichen Platz zu nehmen, um nach den beiden Stadtnächten wieder Sand zu spüren und den Sonnenuntergang stilgerecht am Strand zu feiern. Aber: die Saison ist zu Ende. Alle Plätze, die ich an der Küste finde, machen Ende August zu, das bestätigt mir auch eine andere, schon verzweifelte Sucherin. Na, dann Planänderung und doch nach Pärnu. Hier weiß ich, dass es mindestens zwei gute Plätze gibt, ausserdem einen supertollen Strand. Geht auch.
Mein „Sundowner“-Bierchen nehme ich tatsächlich am fast leeren Stadtstrand von Pärnu, genieße diese feine Weite (ahne den Trubel im Sommer) und sauge die letzte Wärme aus der Sonne. Kaum ist sie unsichtbar, wird es empfindlich kalt: die Spaziergänger in ihren Daunenjacken haben mich eh schon so komisch angesehen…
Eigentlich hatte ich die Idee, auf dem strandnahen Parkplatz zu übernachten, aber ehrlich gesagt: für 15 Euro bekomme ich um die Ecke Strom, Dusche, Wlan und kann mich morgens selbstverständlich zum Frühstück neben den Bus setzen, statt heimlich drinnen zu bleiben. Prinzessin-Feeling siegt: den Platz „Konse“ kenne ich noch vom letzten Jahr und der ist wirklich dufte (in der Nebensaison)…
Tag 23: Pärnu -> Insel Kihnu, Estland
Song des Tages
„Smells like teen spirit” Freedom Fry
Ein Traum: Die Insel Kihnu bei Estland.
Ich stehe frei und geniesse unglaublich.
Strom ist leer – und ich sitze, staune, sitze, ruhe, genieße, sitze…
Tag 24 : Insel Kihnu -> Tallin, Estland
Song des Tages
„Garota“ Erlend Øye (Danke, Claus!)
Es ist so unglaublich still. Unglaublich, aber nicht unheimlich! Es ist einfach nur: Nichts. Ein wenig plätschert die Ostsee, sanft raschelt die Brise mit den Gräsern, hier und da tönt ein Vogel… und sonst Stille. So mag ich das!
Nach der wunderschönen Sonnenaufangsshow (bin extra früh aufgestanden dafür!) frage ich mich, wieviele Tage ich hier so leben könnte, ganz allein? Ich glaube, lange! Aber ich bin ganz ohne Strom (meine Batteriepack ist leer und Franz gibt Strom nur an USB-Stecker, d.h. immerhin Handy) – also bin ich ohne Beschäftigung/ Arbeit… Wie lange könnte ich mich so glücklich fühlen? Wirklich tagelang nur sitzen und nichtstun. Im Moment erscheint es mir nicht machbar – zu sehr bin ich unter Strom des Tuns, aber ich sollte es unbedingt mal ausprobieren! Hier wäre eine tolle Stelle für den Test, denn hier fühle ich mich absolut geborgen! Hier, zum Leuchtturm, will ich wieder kommen!
Ich trenne mich so extrem ungern, aber ich muss weiter… Die Fähre fährt immerhin dreimal pro Tag, also nehme ich die am Nachmittag zurück, so dass ich mir noch ganz in Ruhe die Miniinsel ansehen kann. Die ganzen 6 km Länge durchfahre ich kreuz und quer, finde einen moosigen Wald, der mich vor Barfuß-Glück fast platzen lässt, steige am (leeren) Campingground im Westen der Insel nochmal in die frische Ostsee und denke beim Anblick der so abgelegenen Höfe sehr darüber nach, wie es wohl ist, hier aufzuwachsen, Jugendlicher zu sein, jemanden zum Familiegründen zu finden… Krasse Vorstellung: aber wie das schöne Museum zeigt, praktizieren das schon Generationen (freiwillig) hier…
Auf dem Festland entscheide ich, mir einen Platz am Strand der Westküste zu suchen. Die Campingplätze (die es in dieser Gegend eh kaum gibt) sind geschlossen, also bleibt mir nur ein weiterer „wilder“ Platz. Als ich, rechtzeitig zum Sonnenuntergang, einen duften Stellplatz finde und den Weg abgehe (um zu prüfen, wie sandig/ befahrbar es hier ist), überfallen mich Milliarden Mücken: schnell weg!! Nein, trotz super Aussicht… das halte ich nicht aus. Mist, ich ärgere mich sehr, denn jetzt muss entschieden werden: einen Campingplatz werde ich vor Sonnenuntergang nicht mehr finden und das heißt, statt gemütlichem „Feierabend“ am Strand die ganze Strecke nach Tallin zu sausen. Schlechte Laune.
Immerhin finde ich den Stellplatz am Yacht-Hafen gleich, ziehe mir das erste Mal auf dieser Reise meine Jacke an und gehe im Dunklen, Kalten noch eine kleine Runde durch die Boote – was für eine fiese Vertreibung aus dem Paradies in die Realität.
Tag 25 : Tallin, Estland -> kurz vor der russischen Grenze
Song des Tages
„Bill“ Exuma
Ah: Und wieder Sonne! Ich freue mich! Frohgemut arbeite ich früh beim Kaffee auf der Holzbank neben Franz, aber sehe hinten im Westen eine Wolkenbank aufsteigen… Heute muss ich mich und mein Auto mal wieder auf super piccobello Status bringen, denn wer weiss, wie es die nächsten Tage wird. Also Frischwasser rein, Abwasser raus, Scheiben putzen (ich sehe dank der Mückenschwärme, die ich gestern offenbar deutlich dezimiert habe) kaum mehr was (war unangenehm gestern im Dunklen zu fahren), Wischwasser füllen, spülen, putzen, duschen… etc. Hundert Handgriffe halt.
In Tallin parke ich mittendrin, sauteuer! Das Wetter ist umgeschlagen, ich bleibe aber stur bei meinen Flipflops und kreuze mit Ernie, dem Radl, übers Kopfsteinpflaster, sehe mir die tollen Häuser, schönen Gassen und feinen Fassaden (mit so vielen tollen Türen!) an, aber bin irgendwie gelangweilt von den immer gleichen Touristenläden (die teilweise tolle Sachen im Schaufenster zeigen), den Touristengruppen (viele Asiaten: wie kommen die auf Estland?) und den Touristenkneipen (“original estisch Kuche!”). Nee, mich nervts irgendwie. Und so bin ich nach nur drei Stunden wieder aus dem Zentrum, cruise lieber noch etwas durch die Wohnviertel, finde ein nettes Café und steuere dann gegen Osten, auf die russische Grenze zu. Ich will möglichst nah hin, denn morgen will ich früh rüber – bin gespannt, ob ich hier auch so lange anstehen muss…
Ich bin turbo genervt von meinem Campingplatz-Such-Workflow… Es gibt hier im Eck eh kaum Plätze, Platzsuche geht nur online, das Navi findet die meisten Adressen nicht (also muss ich mich in die Nähe navigieren und dann mit Google Maps weitermachen oder raten) und dann sind die Plätze geschlossen. Mist. Der letzte Campingplatz vor der russischen Grenze ist wieder ein Hotel-Garten: den steuere ich im Regen an, finde ihn nur durch Zufall (weil so abgelegen, dass kein Navi ihn sieht) und… Hotel dicht. Also parke ich vor dem Tor, mir egal, hier bleibe ich jetzt. Als ich mich gerade fertig installiert habe, wird mir doch das Tor geöffnet, ich darf mich auf der Wiese am Strom anstecken und 15 Euro dafür zahlen – zu teuer, aber jetzt egal.
Tag 26 : Kurz vor der Grenze -> St. Petersburg, Russland
Song des Tages
„Simple“ Tom Klose (Danke, Susann!)
Stellplatz in St. Petersburg
Etwa zwei Jahre nach meinem Besuch (ich war 2016 dort) hat mich Uli, ein Leser meines Blogs, beim Nachreisen darauf aufmerksam gemacht, dass es diesen Stellplatz nicht mehr gibt. Er hat mir aber die Infos zum ganz nahe gelegenen Stellplatz geliefert, auf dem es sich wohl auch hervorragend nächtigen lässt.
Danke nochmal sehr, Uli!
Tipps zur Einreise Russland
Ich komme später los als ich wollte, aber obwohl ich immer so früh aufwache und mich direkt nach dem Müsli an den Rechner setze, brauche ich einfach lang, um ein Stück weiter zu arbeiten.
Es ist tasächlich Herbst (gut, es ist ja auch schon Mitte September): es ist kühl, es regnet und ich sehe die ersten gelben Schimmer auf den Bäumen. Schade, denn der Sommer hat mich echt so fröhlich gestimmt, jetzt finde ich es ein wenig anstrengend, zu fahren. Also laut Musik, dann geht‘s besser. Narwa ist die letzte Stadt auf estischer Seite, die offenbar um die Grenzanlagen drumherum gebaut wurde. Fast trotzig stehen sich zwei Burganlagen gegenüber: diesseits vom Fluss Estland und auf dem anderen Ufer Russland. Und so triste wie das Wetter, sind auch die Stadt, die Menschen, die Wartebereiche der Grenze… passt aber irgendwie alles zusammen.
Und es ist nicht zu fassen, doch es dauert hier noch länger, nach Russland zu kommen: geschlagene drei Stunden! Und was mich wirklich den Kopf schütteln lässt: 8 (!) Mal werden alle (!) Papiere supergenau (!) kontrolliert und 3 Mal muss ich alle Türen öffnen… gibts doch nicht. Das letzte Mal ganze 50 Meter nach dem vorletzten Mal. Was genau kann ich in den 50 Metern geändert/ zugeladen haben? Immerhin sehe ich so harmlos aus, dass sie bei mir den Drogenhund lieber die Tauben jagen lassen… Aber alle grantig und garstig. Mittendrin überlege ich schon kurz, einfach wieder umzudrehen, wenn sie mich nicht haben wollen. Also, echt eine nervige Zeitverschwendung. Aber als ich endlich von der Grenze wegrolle, sehe ich eine kilometerlange Schlange von LKWs, die nach Estland (zurück) wollen. Sicher 3 oder 4 Kilometer stehen die am Straßenrand. Wenn ich, die vielleicht 7 Autos vor mir hatte, 3 Stunden gebraucht habe und nichts zu verzollen hatte… Mann, die tun mir echt leid!!
Also, alles gut, dann bin ich mit 3 Stunden sicher super weggekommen! Weil ich so doch spät dran bin und es dazu stark regnet, spare ich mir den eigentlich geplanten Umweg an die Küste und fahre direkt nach St. Petersburg. Ich weiss ja auch nicht, ob ich den anvisierten Campingplatz mitten in der Stadt gleich finde. Mein Navi hat keine russischen Karten, also muss ich kurz vor St. Petersburg auf Google Maps umsteigen und ärgere mich schon wieder darüber, weil diese online Navigation nur mit (stark verzögertem) Bild und ohne Ton einfach nicht gut funktioniert und nur nervt. Trotzdem finde ich (mit drei U-Turns und mehreren unverschämten Spurwechseln) durch den Feierabendverkehr kämpfend die Adresse und bin kurz sehr (!) genervt. Es ist fast 19 Uhr, ich habe saumäßig Hunger, ich will duschen und bin echt müde – aber hier ist wirklich kein Schimmer von Campingplatz zu sehen. Ich steige aus, suche, sehe wirklich nichts. Feuerwehrstation, halb verfallenene Häuser, renovierte Kirche – kein Camping. Ich recherchiere online nach dem nächstmöglichen Platz: 1 Stunde bis dorthin, weil überall Stau. Also gehe ich zu einem Feuerwehrwachmann, der fragt seinen Kumpel (beide ohne Englisch), aber der nickt, als ich ihm das Foto zeige, steigt ins Auto und lotst mich 300 Meter zurück, in den Hinterhof der Kirche, zu einem Garten des „Kulturzentrums“. Ich finde es lustig, der wachhabenden Frau völlig ohne Englisch verständlich zu machen, dass ich hier bleiben will. Sie telefoniert, jemand wird in 10 MInuten kommen. In dieser Zeit überlege ich krampfhaft, ob ich in diesem seltsamen Garten wirklich übernachten will und überlege Alternativen. Aber irgendwie fühlt sich das hier ganz gut an, Vera wacht wohl die ganze Nacht, es ist relativ ruhig, Gregori („I‘m the technical director“) schliesst mich durch ein Bad-Fenster an den Strom an: alles perfekt! Und schließlich fahre ich doch nicht fast 4.000 Kilometer, um dann auf einem popeligen Standard-Platz oder gar in einem Hotel (hab ich auch kurz drüber nachgedacht!) zu bleiben… Irgendwann muss es ja auch mal ein bißchen anders sein, oder?
Und dank der praktischen Bierhalter-Zusatzausstattung des guten Franz kann ich mich – nach dem zufälligen Gottesdienst-Kurzbesuch in der Kirche vorne (zum Glück hatte ich einen Schal an, das ich als Kopftuch umfunktionieren und mich damit unter die Damen mischen konnte) – mich vom krassen Weihrauch-Nebel etwas auslüften und das wohlverdiente Feierabend-Bier genießen…
Tag 27: St. Petersburg, Russland
Song des Tages
„Summer is over” Monday Tramps (Danke, Niki!)
Stellplatz in St. Petersburg
Mein Kopf ist voll – klassischer Overflow nach einem tollen Tag in einer tollen Stadt: Laut, schnell, riesig! Verwunschen, bröckelnd und verblichen – aber modern, liebevoll, spektakulär.
Und anstrengend.
Ich verzichte auf die ganzen Touristen-Tipps und zirkle wieder einfach nur so mit dem Radl durch die St. Petersburger Innenstadt. Unheimlich grandiose historische Zeugnisse stehen neben halb verfallenen Häusern. Breite Boulevards zeugen von einstigem (Super-)Reichtum und verzweigen sich in ziemlich verlotterte Straßen. Der Markt (der bisher beste, finde ich) liegt schräg gegenüber vom modernen Einkaufszentrum und geschlossene, verwahrloste Läden liegen Tür an Tür zu Nobelshops.
Ich sehe viele coole Bars im Souterrain, die Werbung fürs Oktoberfest im Restaurant “Bretzel”, Kaffeeausschank und Fischverkauf aus Autos am Straßenrand, supernette Cafés überall, ganz selten Bettler, kaum Lächeln, einige Betrunkene, fetteste Autos, mehrere Hochschwangere auf meterhohen Absätzen… Ich höre Lärm und quäkende Werbeausrufe überall, deutsche Schlager und “Scorpions”, rieche viel Gestank und extrem aufdringliche Parfums: Ja, es ist anstrengend, aber beeindruckend!
Und ich hab mich schon wieder ein bisschen in eine Stadt verliebt und ein Ziel mehr auf meiner Wochenendreisen-Wunschliste. Ein bisschen auch verliebt in die total verschlossenen Gesichter, die sich erst dann öffnen, wenn sie angesprochen werden. Kein (!) Zurücklächeln im Vorbeigehen, quasi kein Augenkontakt – aber der junge Mann, der mir spontan hilft, mein (zum hundersten Mal) abgefallenes Pedal wieder dran zu schrauben, die Bäckereiverkäuferin, die mir ganz freundlich erklärt, wie man hier bestellt und bezahlt. Die drei U-Bahn-Wachmänner, die mir erst über die Handy-Übersetzungs-Funktion klar machen, dass das Fahrrad nicht unverpackt durch die Sperre darf und mich dann doch (sehr gnädig) durchwinken. Und der unheimlich nette Typ, der sich mit seiner Frau und mir den schönsten Platz auf den Touri-Boot teilt und mir dann im perfekten Englisch wahnsinnig lustig erklärt, wie die Russen ticken…
Lauter Freundlichkeit, aber erst auf dem zweiten Blick. So empfinde ich auch St. Petersburg: abweisend im Gesamten, liebenswert im Detail. Ein echter Reisetipp!
Tag 28: St. Petersburg, Russland -> Bucht in Finnland
Song des Tages
„Soits lebn“ Seiler und Speer (Danke, Heiko!)
” Ein Hoch
aufs Leben und die Welt
auf dass uns nie was fehlt
und keiner von uns leiden muss.
…
Ein Hoch
auf eine wunderbare Zeit
und hoff ma, dass mehr bleibt
als an Foto in am Album.
…
Ein Hoch
auf a jeds Hindernis
aa wenns no so gschissn is,
aus Fehler da lernt ma…”
Campingplatz in Finnland
Eine sehr nette Verabschiedung von Gregori, Michael, Vera, dem Team des Kulturhauses, in dessen Garten ich stand. Ach, es ist einfach so traurig, wenn man die Sprache des anderen nicht spricht! Man blickt sich in die Augen und ist sich sympathisch, sieht das Lächeln des Herzens und es ist natürlich eine Verständigung möglich. Aber ich kann nichts erfahren über den Alltag, über die Menschen. Es ist so schade!!!
Raus aus St. Petersburg ist noch einfach, da ich ja weiß, wo ich hergekommen bin. Aber dann auf die richtige Autobahn… Dieses Autobahnkreuz ist nicht kleeblattförmig, wie wir das kennen, sondern sieht eher aus, wie ein Achterbahn-Gesamtkunstweg. Chancenlos eh schon und dann mit der kyrillischen Beschriftung (während auf meinen Karten ja nur die lateinischen Buchstaben sind)… Es ist das erste Mal auf dieser Reise, dass mir ein herzhafter Fluch entfleucht: Scheiß doofe Technik! Es funktioniert einfach nicht! Kein einziges Navisystem findet irgendwas oder ortet rechtzeitig richtig, es ist zum Verzweifeln. Zu guter Letzt fahre ich nach Kompass, weil es dazu auch noch so bedeckt ist, dass mir die Sonne nicht helfen kann… Naja. Aber auch geklappt.
Auf der richtigen Straße angelangt (“Helsiki” steht dran) dreh ich erstmal die Musik auf und will unbedingt an einem Trucker-Rastplatz etwas essen. Für knapp 4 Euro bekomme ich einen riesigen Teller Bratkartoffeln mit einen Stück Fleisch, überbacken mit Zwiebeln, Pilzen, Käse. Lecker. Und dazu die megalaute Beschallung des „Rambo“-Schlachterfilms. Puh.
Ich will eigentlich noch länger in Russland bleiben. Aber alle wenigen Stichstraßen, die ich von der Hauptstraße aus finde (meist sind es nur Waldwege), enden im Nirgendwo, an einem einsamen Haus oder im Wald. Ich finde einfach keinen Strand, dafür müsste ich die ganz kleine Küstenstraße fahren, aber es nieselt und ist echt kalt: hab ich einfach keine Lust dazu. Und Wald hab ich jetzt erstmal auch genug gesehen…
Also halte ich auf die russisch-finnische Grenze zu, kaufe vorher am Straßenrand bei einer alter Frau (eine Russin, wie ich mir Russinnen vorstelle: großartiges Bild!) frische Pfifferlinge und Blaubeeren und schenke ihr zum Kaufpreis meine letzten Rubel. Lange überlege ich, wie Straßenverkäufer überleben können. Und es gibt so viele davon!
Hoppla: Nur eine erstaunlich kurze Stunde später bin ich im riesigen Grenzland (trotz der allerunfreundlichsten Grenzer von allen!) und 3 Minuten später in Finnland. Fast schon überrumpelt werde ich 4 Kilometer später von einem Campingplatzschild – und obwohl ich eigentlich Helsinki geplant hatte, biege ich kurzentschlossen ab. Ich spüre, dass ich nach Tallin und St. Petersburg jetzt erstmal wieder Natur und Luft und Ruhe brauche.
Traumplatz! Ganz allein für mich!
See. Sicht. Platz.
Und on top zwei Highlights: Eine tolle Sauna ganz für mich allein! Und danach ein Lagerfeuerchen am See.
Gehts mir gut!
Tag 29: Meine Bucht in Finnland
Song des Tages
„Stopp doch die Zeit“ Seiler und Speer (Danke, Philip!)
” … Bitte stopp doch irgendwer die Zeit
weil heit is ois schee und macht a Freid!
So wias grad is,
so kanntats ewig bleibn.
Bitte stopp doch irgendwer die Zeit
weil sonst geht alles Scheene schnell vorbei.
So wias grad is,
so kanntats ewig bleibn…”
Sicht aufs Wasser und das Lagerfeuer davor ist halt echt meine Vorstellung vom Sein!
Dazu schnattern sich die Gänseschwärme (mit Nils Holgersson) Richtung Süden und hinter mir läuft ein Fuchs (!) über den Platz… Da lacht das Herz vom Großstadtkind!
Die Nacht ist kalt: draussen gefroren, innen immerhin +4 Grad – aber ich bin viel lieber hier, als woanders. Also entscheide ich, hier zu bleiben. Einen ganzen Tag Fahrpause, mal wieder stehen bleiben, barfuß sein, sonnetanken, arbeiten und dabei ruhig sein.
Und abends wieder: Freiheit.
Campingplatz in Finnland
Tag 30 & 31: Aus der Bucht -> Helsinki, Finnland
Song des Tages
„So lala“ Raf Camora
“…Doch nie gehts mir so lala,
nie so lala,
nie naja,
nie so lala….
Doch ich weiss nicht,
wann ich je zufriedener war…”
Campingplatz in Helsiniki
Harter Abschied von meiner Privat-Bucht, aber ich frage mich immer, was ich wirklich (!) will. Klar will ich in der Sonne liegen und gar nichts tun: bequem und träge den Tag verrinnen lassen und dabei gemächlich genießen. Aber in wirklicher Wirklichkeit will ich was sehen, was erleben und Neues entdecken. Bequemlichkeit gibts auch daheim – also Aufbruch.
Ich halte mich neben der Autobahn, denn vielleicht finde ich ja ein feines Kaffee-Plätzchen am Ostseestrand. Aber auch hier ist alles voller Bäume, keine Sicht aufs Wasser. Dafür: Tolle, herrlich goldene Birkenwälder, glitzernd und glänzend wie von innen beleuchtet, hier und da ein herbstrotes Bilderbuch-Holzhaus, ein wenig ockerfarbenes Feld dazwischen… diese Straße gehört zu einer der tollsten, die ich je gefahren bin! (Und ich gerate mit sehr lauter Musik so sehr in den Fahrflow, dass ich sogar das Fotografieren vergesse…)
Helsinki also. Stadtcamping bedeutet immer relative Enge, aber hier ist es trotzdem nett grün und wegen der Jahreszeit sowieso erträglich leer. Als erste Tat lasse ich mir vom sehr netten Campingplatz-Team einen Fahrradladen empfehlen, denn ich bin eh so früh hier und da kann ich die Zeit dafür nutzen, mein Ernie-Klapprad in fachkundige Hände zu geben, um das kaputte Pedal ersetzen zu lassen (ganz ohne Werkstatt-Aufenthalt geht es offenbar bei meinen Reisen nicht…). Also losradeln, mich über diese enorm lustigen Straßennamen freuen, nach dem Radlladen „SuomenPolkupyörätukku“ suchen und gleich finden. Die Jungs runzeln die Stirn, versprechen aber, ihr Bestes zu tun – und ich fahre mit der Metro zurück zum Franz.
Am nächsten Tag wandere ich 7 Stunden durch die Stadt (und klopfe mir dabei dauernd selbst auf die Schulter, dass ich schlauerweise sonst Ernie dabei hatte…). Wie schön hier! Einfach schön, schön, schön. Nicht übertrieben museal (wie vielleicht Danzig), oder fast gewollt alt (wie Tallin) sondern einfach gepflegt, geliebt, echt. Und so entspannt. Und leise. Und lauter nette, blonde, ruhige Menschen, die alle besonders gute Parfüms mit sich wehen lassen. Mein Lächeln wird immer (!) erwidert, oft kommt man mir sogar zuvor. Englisch ist die normale Sprache, alle Touristeninformationen sind mindestens zweisprachig, es ist hier einfach sehr easy, weltoffen, friedvoll.
Und nachdem Ernie geheilt wurde (Danke!), will ich doch unbedingt noch einen zweiten Tag dranhängen, bevor ich mich endgültig Richtung Süden aufmachen muss…
Tag 32 & 33: Helsinki, wunderbare Tochter der Ostsee, Finnland
Song des Tages
„1, 2, 3, 4“ Wanda (Danke, Claus!)
“… und die Stadt träumt sich in unsre Herzen rein…
… 1, 2, 3, 4 – es ist so schön bei dir…“
Tipps zum Fährefahren
Und die letzte Stadt auf meiner Reise vereint alles, was ich in einer Stadt zum Leben will: wahnsinnig entspannte Menschen aller Lebensschichten und Nationalitäten. Saubere, nicht zu cleane freundlich-pastellige Straßen. Super lässige Cafès und Kneipen. Fröhliche Kinder überall, die sich alleine und selbstbewusst in den Straßen bewegen. Offene Gesichter und klare Blicke… Und, das Beste: die spürbare Liebe zum Meer!
Ich fühle mich so sehr daheim in Helsinki (das sogenannte „Hipster“-Viertel ist eindeutig Untergiesing, das „Design“-Viertel glatt das Glockenbach), dass es fast fad ist. Trotzdem (oder deswegen?) genieße ich die Atmosphäre sehr. Und die mehrfache Werbung mit „Bier“ oder „Oktoberfest“ macht Helsinki noch weniger exotisch und noch heimeliger… Ist wahrscheinlich eine ganz gute Überleitung auf “Dahoam”, denn den Heimfahr-Blues habe ich ja schon seit St. Petersburg, als mir der Richtungswechsel nach Westen deutlich machte, dass es jetzt zurück geht.
Und heute Nachmittag gehts also rauf auf die Fähre, direkt nach Süden, Richtung Heimat, ganz zurück.
Tag 34: Ostsee
Song des Tages
„How I think about you“ Malakoff Kowalski (Danke, Ati!)
Meine Tipps zur Fähre
Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön….
Jedesmal wieder ein Spaß.
29 Stunden darf ich es mir an Bord gemütlich machen und im Wind stehen und den Blick auf dem Horizont liegen lassen… Ich mag das so gerne!
Tag 35: Fähre -> Travemünde -> Ostfriesland -> nach Hause
Song des Tages
„Rich“ Cosmo Sheldrake
Pünktlich legt die Fähre um 21.30 Uhr im stockdunklen Travemünde an. Gleich ums Eck finde ich einen tollen Stellplatz direkt am Fischereihafen. Perfekt, um mich am nächsten Morgen mit einer kleinen Radl-Runde von der Ostsee zu verabschieden: Kutter, Fischbrötchen, Füße im Sand und ein letzter Blick übers Meer… Bis bald!
Ach – und ich mag Ostfriesland! Das ist echt was besonderes hier. Ich mag es, das Auge auf diesen weiten Felden ausruhen zu lassen… und die schwarz-weißen Kühe und diese superschönen Kanäle durch die saftigen Wiesen und die ruhig drehenden Windräder… Alles so easy-entspannt hier. Dazu einen superschönen, leckeren, entspannten, lustigen Abend und ebensolchen Morgen mit Sabrina verbracht (Danke Dir und Deiner Familie!!) und eine gemütliche Nacht in deren Vorgarten.
Ab jetzt geht es nur noch weiter, immer heimwärts mit Besuchen bei lieben Menschen, auf die ich mich sehr freue. Autobahn fahren und dabei an vieles, vieles denken und Ruhe geben und einfach nur das ganze gesammelte Glück fest im Kopf einpacken, damit ich es bei Bedarf herausholen und genießen kann…
Und dann ist meine vermietete Wohnung wieder frei und ich stürze mich wieder voll in den Alltag.
Auch schön, freu mich drauf!
Schreibe einen Kommentar